Tech-Urbanismus geht online. Der Blog befasst sich mit sich den städtischen Auswirkungen digitaler Technologien.
So, seit heute ist dieser Blog endlich online. Darf ich vorstellen: Tech-Urbanismus. Trommelwirbel, Tusch! Zu Beginn habe ich mir überlegt, dass euch – verehrte Leser – vermutlich gar nicht klar ist, was ich mit dem Begriff Tech-Urbanismus eigentlich meine. Daher zunächst der Versuch einer griffigen Definition: Tech-Urbanismus umfasst alle Entwicklungen, die durch die Aktivitäten der Digitalbranche in unseren Städten ausgelöst werden. Dabei sind zwei Wirkungsfelder entscheidend: zum einen die Produkte der Tech-Firmen, zum anderen ihre zunehmende physische Präsenz in der Stadt.
Wem das noch nicht reicht, der/die möge bitte weiterlesen. Es folgt eine ausführlichere Erläuterung zu dem Phänomen, das ich fortan als Tech-Urbanismus bezeichnen möchte und zu dessen Ergründung ich diesen Blog ins Leben gerufen habe.
Industrielle Revolution = städtische Transformation
Die drei bisherigen Industrierevolutionen (Maschine, Elektrizität, Computer) haben die städtischen Strukturen grundlegend auf den Kopf gestellt.
Die Einführung von Maschinen brachte die Fabrik als neuen Produktionsort hervor und die nachfolgende Urbanisierung sprengte die mittelalterlichen Stadtkerne. Die Bereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit wurden räumlich völlig neu geordnet, sprich: getrennt.
Mit dem flächendeckenden Einsatz der Elektrizität kam das Zeitalter der Massenproduktion. Strom änderte alles: Telegraph und Telefon verkürzten die Kommunikationswege, elektrifizierte Straßenbahnen revolutionierten die Mobilität (in noch stärkerem Ausmaß tat dies das gleichzeitig aufkommende Automobil) und elektrische Haushaltsgeräte machten das Leben einfacher.
Die Erfindung des Computers leitete den Übergang zur Dienstleitungsgesellschaft ein. Das Büro, häufig in Form von Türmen oder ganzen Stadtlandschaften, steht sinnbildlich für diese Transformation.
Digitale Welt und analoge Stadt – wie geht das zusammen?
Die Geschichte zeigt, dass mit industrieller Evolution immer auch eine tiefgreifende Veränderung des Städtischen einhergeht. Und daher überrascht es gar nicht, dass auch die Konzerne der aktuellen technologischen Revolution unsere Städte verändern und prägen. Oder tut sich da vielleicht doch ein Widerspruch auf?! Denn eigentlich waren die Internetpioniere ja angetreten, in der Virtualität eine neue, bessere Welt zu erschaffen. Was wollen sie also in der realexistierenden Stadt?
Nun, zunächst sind Städte der größte Absatzmarkt für Tech-Produkte aller Art. Ohne die Dichte und Kaufkraft urbaner Agglomerationen hätten sich viele internet- und app-basierte Angebote wahrscheinlich nicht durchgesetzt. Leiferdienste wie Deliveroo und Foodora würden sich in dünner besiedelten Gebieten nicht rechnen. Die Charakteristika der Städte haben somit einen erheblichen Anteil am beispiellosen Aufstieg der Digitalbranche, der die großen Tech-Konzerne zu den wertvollsten Unternehmen aller Zeiten gemacht hat.
Auf wirtschaftlichen Erfolg folgt seit jeher das Bedürfnis nach Repräsentation. Prächtige Gildehäuser, weitläufige Industriellenvillen und opulente Firmenzentralen sind steingewordene Zeugen vergangener Boomzeiten und ihrer erfolgsgekrönten Vorreiter.
Klar, dass auch die neuen Stars am Wirtschaftshimmel ihren gebauten Fußabdruck hinterlassen wollen. Folglich haben viele Digitalunternehmen ihre virtuelle Sphäre längst verlassen und weiten ihre Wirkungskreise zusehends auf die physische Welt aus. Sie lassen Stararchitekten zukunftsweisende Firmencampusse errichten (mit dem kreisrunden Apple Park als digitalmoderne aber „stadtfeindliche“ Ikone), bauen Dependancen in den globalen Metropolen und planen ganze Stadtteile (wie Alphabet in Toronto). Datenhighways und Codestränge machen einfach nicht so viel her, wie eine betonierte, vorzeigbare Manifestation des eigenen Selbstverständnisses.
Produkte mit zweifelhaftem Nutzen
Es bietet sich an, die zwei Wirkungsfelder einmal genauer zu beleuchten, über die die Internetfirmen ihre urbanen Wirkungen entfalten: ihre Produkte und – in Deutschland erst seit kurzem – ihre städtischen Dependancen. Beide verändern das soziale Gefüge im Stadtraum.
Die Plattformen von Airbnb und Uber sind hoch umstritten, weil sie Regularien umgehen, bestehende Geschäftsmodelle aushebeln und direkten Einfluss auf die städtische Umwelt nehmen, indem sie das Mobilitäts- und Reiseverhalten der Menschen verändern.
Das bietet individuelle Vorteile – die Anwendungen sind sicher, verlässlich, erschwinglich und bieten neuartige Verdienstmöglichkeiten. Gleichzeitig entstehen aber auch kollektive Beeinträchtigungen – Wohnraum verknappt sich, bestehende Gewerbe werden aus dem Markt gedrängt (Uber befindet sich in einem ruinösen Preiskampf und macht bis heute enorme Verluste, was nur durch den spekulativen Einsatz von Risikokapital möglich ist) und kommunale Steuereinnahmen verringern sich.
Viele weitere Branchen stehen vor großen Herausforderungen, insbesondere der Einzelhandel sieht sich dem Druck von Onlinehändlern wie Amazon und Zalando ausgesetzt. Doch wenn immer mehr Wirtschaftszweige ins Internet abwandern, stellt sich die Frage, was dann aus den Städten wird. Welche Rolle spielen sie noch für die Bewohner und wie können sie ohne ökonomische Grundlage bestehen?
Der Tech-Campus und die Stadt
Die Digitalszene mag es gerne urban. Daher konzentrieren sich die Akteure häufig in ausgewählten Stadtteilen, die sich durch einen hohen Grad an Diversität und Vitalität auszeichnen. In Berlin, das im Rennen um das europäische Startup-Zentrum einen Spitzenplatz belegt, fiel die Wahl der Techies auf Kreuzberg. Der Stadtteil erlebt aktuell einen kraftvollen Zustrom an Digitalunternehmen.
Zalando belegt bereits mehrere Immobilien im Viertel (eine Übersichtskarte gibt es beim rbb), lässt an der East Side Gallery einen neuen Firmensitz errichten (auf der gegenüberliegenden Spreeseite in Friedrichshain), hat am Ostbahnhof einen ehemaligen Kaufhof angemietet (ebenfalls knapp in Friedrichshain) und bezieht mit der Cuvry-Brache eines der umstrittensten Grundstücke Berlins. Google zieht dieses Jahr in das ehemalige Umspannwerk am Landwehrkanal. Factory Berlin, Deutschlands größtes Startup-Center, eröffnet eine zweite Niederlassung, diesmal gleich „das größte Clubhaus für Start-ups in Europa“ (östlich des Görlitzer Parks in Treptow).
Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang das Wort Campus. Zalando Campus, Cuvry Campus, Google Campus, Start-up-Campus. Zur Erläuterung: Campus leitet sich vom Lateinischen ab und bedeutet eigentlich ‚Feld‘. Warum aber bauen Digitalunternehmen so gerne Felder in der Stadt?
Der Begriff hat im Laufe der Zeit eine Bedeutungsverschiebung vollzogen. Zunächst in den USA für parkähnliche, außerhalb der Stadt gelegene Universitätskomplexe verwendet, werden heutzutage auch Klinikgelände, Forschungseinrichtungen oder Büroareale als Campus bezeichnet. Google und die anderen Firmen nennen ihre Gebäude gerne Campus, um auf die historische Konnotation (grün, offen, frei) und den mutmaßlichen Forschungscharakter ihrer Unternehmungen zu verweisen.
Wachsender Widerstand
In der Realität bedeutet ein Tech-Campus häufig auch Exklusivität für die Mitglieder, Abschottung vom Umfeld und eine Verdrängung anderer Nutzungsformen. In Kreuzberg werden zunehmend Befürchtungen laut, dass die wachsende Präsenz der Digitalbranche den Stadtteil überfrachtet. Werden sich die aktuellen Bewohner und Geschäftstreibenden halten können, wenn immer mehr gut bezahlte Techies in den Kiez ziehen und sich mit Risikokapital ausgestattete Startups in den Gewerbeeinheiten einmieten?
Kreuzberg wird bereits heute von einer durchdringenden Gentrifizierung geplagt. Unterstützt von lokalen Initiativen, darunter „Bizim Kiez„, „GloReiche Nachbarschaft“ und „Lause bleibt„, formiert sich daher Protest gegen die befürchtete Aufwertung durch die Digitalunternehmen. Mitte Dezember gab es vor dem Umspannwerk eine Demonstration gegen den Google Campus. Das Motto: „Google ist kein guter Nachbar“. Als Sprachrohr der Bewegung dient die Webseite „Fuck off Google“, wo auch die bisherigen Aktionen dokumentiert werden.
Warum braucht es einen Blog über Digitalwirtschaft und Stadtentwicklung?
Bahnbrechende Technologien, deren Einfluss auf unser (städtisches) Zusammenleben noch nicht zu ermessen ist, und Stadtviertel, die von Digitalunternehmen als bevorzugtes Habitat auserkoren werden – obwohl sich der Tech-Urbanismus gerade erst entfaltet, ist er bereits einzigartig in der Intensität und Geschwindigkeit, mit der er unsere Städte verändert.
Die vorangegangen Industrierevolutionen entfalteten ihre urbanen Auswirkungen über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte – geradezu behutsam im Vergleich zu heute. In den wenigen Jahren seit der Einführung des iPhones haben Menschen ihr Arbeits-, Einkaufs-, Mobilitäts- und Kommunikationsverhalten grundlegend geändert. Und es gibt keine Anzeichen, dass sich das Tempo dieser Umwälzungen in naher Zukunft verringern würde.
Den Digitalunternehmen hat ihr Erfolg unermesslichen Reichtum beschert. Dieses Geld beginnen sie nun zunehmend in Beton zu gießen: Firmenzentralen, Startup-Center, Forschungscampusse, Wohnareale, ganze Stadtteile und die dazu notwendige (digitale) Infrastruktur. Unklar ist, wie sich diese Form der Privatisierung auf das Städtische auswirken wird. Wird die Stadt zur Datensammelstelle degradiert, mit dem Bürger als gläserne Informationsquelle? Und wer wird überhaupt noch „mitmachen“ dürfen, wenn eine digital-globale Tech-Elite die attraktiven Stadtteile zu ihrem bevorzugten Arbeits- und Lebensraum auserkoren hat?
Es wäre vermessen, Antworten auf diese Fragen vorgeben zu wollen. Mit diesem Blog möchte ich vielmehr die aktuellen Phänomene beleuchten, Eindrücke und Beobachtungen zusammentragen und zum Austausch darüber anregen. Ich freu mich drauf. Los geht’s!
Gereon Uerz
5. Januar 2018 — 13:50
Das Thema ist hoch relevant. Schön, dass es nun einen Blog gibt, der sich damit beschäftigt. Die Veränderungen, die sich aus der Realwerdung des „Digitalen“ in der „gebauten Umwelt“ manifestieren werden, sind gravierend und beginnen gerade erst.
Auch die aus der Einführung des „automatisierten Fahrens“ und Ridehailings resultierenden „Spielräume (hoffentlich ja buchstäblich im Sinne einer Umwidmung von Straßen- und Parkraum zu städtischem Lebensraum) sind interessant.
Die Plattformökonomie wird in London z.B. gerade durch „dark kitchens“ von Deliveroo ganz anschaulich: https://www.theguardian.com/business/2017/oct/28/deliveroo-dark-kitchens-pop-up-feeding-the-city-london
Felix
5. Januar 2018 — 22:07
Vielen Dank für diesen ersten Kommentar und die motivierenden Worte.
Über Lieferdienste wie Deliveroo und Foodora werde ich demnächst bestimmt auch mal einen Text schreiben. Den Fall der „dark kitchens“ kannte ich noch nicht – danke für den Hinweis.
Im Moment baue ich diese Seite noch auf. In den nächsten 14 Tagen sollte ein Grundstock mit den ersten Artikeln gelegt sein. Danach habe ich mir vorgenommen, 1-2 Beiträge pro Woche zu schreiben. Also gerne bis bald.